
“Die selbstverständlichsten und einfachsten Taten des Herzens sind die schwersten, und nur langsam lernt sie der Mensch ... Und zu diesen Taten gehören die Güte, die Selbstlosigkeit, die Liebe, das Schweigen, das Verstehen und das Gebet.” So hat das ein Theologe (Karl Rahner) einmal formuliert.
Schon das Gespräch untereinander wird oft schwer - wie oft sitzen vertraute Menschen einander stumm gegenüber - wen wundert es, daß dann das Gespräch mit Gott oft schwerfällt. Gerade Menschen, die sich um das Gebet mühen, sagen manchmal: “Ich kann nicht - oder nicht mehr - beten. Es ist alles so leer in mir”. Nur einer hat keine Schwierigkeiten mit dem Beten: der gedankenlose Fromme, der Pharisäer. Beten ist eine Lebensaufgabe, man kommt damit an kein Ende.
Am Morgen sind die meisten Menschen am wenigsten aufgelegt zum Reden. Wir haben Geduld mit den “Morgenmuffeln” in der Familie. Und wenn wir abends nach Hause kommen, sind wir meist auch nicht redselig. Wie sollten wir es Gott gegenüber sein? Der Arbeitstag läßt uns noch nicht los. Es fehlt die Sammlung, die innere Ruhe.
Wenn ich mich dann zur Besinnung, zum Beten entschlossen habe, dann fällt mir ein, daß unbedingt noch dieses oder jenes getan werden muß. Beten scheint dann oft als verlorene Zeit. Und gibt mir da nicht schon ein Theologe aus dem 5. Jahrhundert (Hieronymus) Recht, wenn er sagt: “Alle Werke der Gläubigen sind Gebet”?
Der moderne Mensch scheint es zudem noch schwerer zu haben als frühere Generationen, mit Gott ins Gespräch zu kommen. Die Welt ist erklärbar geworden. Daher scheinen Bitten an Gott entbehrlich zu sein. Statt eines Gebets um gute Ernte kaufen wir Düngemittel; und statt in einer Krankheit Gott anzurufen, rufen wir den Arzt an. Überall sehen wir uns Menschen selbst am Werk. Gott scheint so fern. Hat er wirklich mit meinem Leben zu tun? Rede ich nicht gegen eine Wand, wenn ich bete? Antwortet Gott mir denn wirklich? Vor lauter - oft unbewußten - Einwänden gegenüber dem Gebet kommen wir erst gar nicht dazu, es zu versuchen.
Jeder, der es versucht hat, wird es bestätigen: Wenn ich es fertig bringe, einmal auf irgendeine Zerstreuung zu verzichten und zu beten versuche, mache ich die Erfahrung, daß ich dadurch nicht nur Gott sondern mir selbst näher komme.
Wir sind und bleiben nun einmal Geschöpfe, die sich ganz und gar Gott “verdanken”. Ein Mensch, der seine Beziehung zu den Eltern nicht wahrhaben will, täuscht sich über sich selbst. Es gehört aber zur Wahrhaftigkeit, diese Beziehung auch zum Ausdruck zu bringen. Wo das Gespräch aufhört, hört auch die Beziehung auf. Was aber von der Beziehung unter Menschen gilt, gilt auch von der Beziehung zu Gott. Sie darf nicht nur theoretisch anerkannt werden, sie muß auch zum Ausdruck gebracht werden. Und das geschieht im Gebet. Vor allem im Gebet des Dankens und des Lobens. Das ist noch wichtiger als unser Bittgebet.
Aber auch im Bittgebet geht es gar nicht darum, daß wir Gott an uns und unsere Not erinnern, sondern darum, daß wir uns an Gott erinnern.
Im Glaubensbekenntnis heißt es: “Ich glaube an Gott ...” Und dann folgen verschiedene Aussagen, die zum Ausdruck bringen, was Gott und Jesus Christus für unser Leben bedeuten. Das sieht wie ein Katalog von Glaubenswahrheiten aus. Damit aber wäre christlicher Glaube noch nicht gültig umschrieben. Denn unser Glaube ist nicht eine Summe von Lehrsätzen, sondern gründet darin, daß Gott uns anruft. Dieser Anruf aber erwartet, daß wir antworten; mit unserem ganzen Leben, aber auch mit Worten. Die Antwort aber richtet sich an den, der uns angesprochen hat und kann deshalb nicht nur Aussage sein: “Ich glaube an Gott”. Sie muß Anrede sein und lautet dann: “Ich glaube an dich, Gott”. Erst so drückt sich christlicher Glaube voll aus. Und dieser Satz ist ein Gebet. Gebet ist antwortender Glaube.
Eine Definition des Gebetes heißt: Beten ist das Atmen der Seele. Dies will sagen: So wichtig wie das Atmen für das menschliche Leben, so wichtig ist das Gebet für das geistige Leben des Menschen. Wer nicht mehr atmet, ist tot - wer nicht mehr betet, dessen Glaube ist tot. Wer nur oberflächlich atmet, ist krank - wer nur oberflächlich betet, dessen Glaube verkümmert. Oder können wir vielleicht sogar sagen: der verkümmert auch als Mensch?
Deshalb fordert uns Jesus immer wieder auf, zu beten: “Betet, damit ihr nicht in Versuchung fallt” (Lk 22,40). “Bittet, und es wird euch gegeben werden” (Mt 7,7, u.v.a.).
Christus ist zugleich das beste Vorbild eines Beters. Sein ganzes Leben war Gebet: Dialog mit dem Vater, Ausrichtung auf den Willen des Vaters. Immer wieder zieht er sich in die Einsamkeit oder auf den Berg zurück, um zu beten. Jede auch nur denkbare Situation findet sich in seinen Gebeten wieder: Jubel, Dank, Freude, Bitte. Aber auch Klage und Aufschrei: “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” (Mt 27,46). An ihm wird deutlich, welche Spannweite das Gebet besitzen kann; welch ungeheure Nähe zu Gott, aber auch welche Verlassenheit. So ist sein Gebet Modell allen menschlichen Betens.
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